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Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterliegen, nämlich einem ermäßigten Satz und dem Regelsteuersatz, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Das Unionsrecht verbietet nicht, dass das vorlegende Gericht, wenn es bei der Prüfung, ob der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, besondere Schwierigkeiten hat, nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.

Sachverhalt

Phantasialand betreibt in Deutschland einen Freizeitpark. Mit Zahlung eines Eintrittsgelds erwerben die Besucher das Recht, die Einrichtungen des Parks zu nutzen. Mit einem Antrag auf Änderung der bereits ergangenen Umsatzsteuerfestsetzung machte Phantasialand geltend, dass die Eintrittsberechtigungen für den Freizeitpark nicht nach dem Umsatzsteuer-Normalsatz, sondern nach dem ermäßigten Umsatzsteuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG zu versteuern seien. Das Finanzamt lehnte diesen Antrag ab und wies den gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch zurück. Phantasialand erhob daraufhin Klage beim FG Köln.

Nach Ansicht von Phantasialand verstöße es gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass nach der nationalen Regelung ein ermäßigter Umsatzsteuersatz auf die Umsätze ortsungebundener Schausteller anlässlich von saisonal und zeitlich begrenzten Jahrmärkten angewandt werde, während die Umsätze ortsgebundener Schausteller wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dem normalen Umsatzsteuersatz unterlägen.

Das Finanzamt tritt diesem Standpunkt entgegen und stützt sich dabei im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des BFH, nach der die unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung von Leistungen von Schaustellern, die ein Reisegewerbe betreiben, und von Leistungen eines dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vergleichbaren ortsgebundenen Vergnügungsparks nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstöße.

Das vorlegende Finanzgericht hatte Zweifel an der Auslegung des BFH, setzte das Verfahren aus und hielt die Vorlage der Rechtssache an den EuGH zur Vorabentscheidung für geboten.

Entscheidung

Ein Mitgliedstaat kann grundsätzlich einen ermäßigten Umsatzsteuersatz auf die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern anwenden, während er auf die Leistungen von ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks den Regelsatz anwendet. Wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz selektiv nur auf bestimmte Schaustellerleistungen anzuwenden, muss er jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Dieser Grundsatz lässt es nicht zu, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.

Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Gegenstände oder Dienstleistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen.

Es ist also zu prüfen, ob die fraglichen Gegenstände oder Dienstleistungen aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers austauschbar sind. In diesem Fall könnte nämlich die Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze die Wahl des Verbrauchers beeinflussen, was somit auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität hindeuten würde.

Im vorliegenden Fall ist die erste Voraussetzung erfüllt, die sich aus der im vorliegenden Urteil dargestellten Rechtsprechung ergibt und nach der Gegenstände oder Dienstleistungen nur dann als gleichartig angesehen werden, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen. Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass die Leistungen auf einem Jahrmarkt einerseits und in einem Freizeitpark andererseits ähnliche Eigenschaften hätten, da der Verbraucher in beiden Fällen Schaustellerleistungen in Anspruch nehme. Außerdem kann hinsichtlich der befriedigten Bedürfnisse von einem hohen Grad an Übereinstimmung ausgegangen werden, da das vorlegende Gericht vorbehaltlich weiterer Informationen u. a. Unterhaltung und Freizeit sowie individuelles Glück, die Suche nach Abenteuer und Kontaktmöglichkeiten nennt.

Bei der Prüfung der zweiten Voraussetzung, wonach die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen, sind zum einen die Unterschiede zu berücksichtigen, die die Eigenschaften der fraglichen Gegenstände oder Dienstleistungen sowie deren Verwendung betreffen und daher mit diesen Gegenständen oder Dienstleistungen naturgemäß verbunden sind. Da der Gerichtshof entschieden hat, dass es nicht allein auf die Gegenüberstellung einzelner Leistungen ankommt, sind zum anderen auch die Unterschiede des Kontexts zu berücksichtigen, in dem die Leistungen erbracht werden.

Als Kontext der jeweils zu vergleichenden Leistungen können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Unterschiede im rechtlichen Rahmen und in der rechtlichen Regelung erheblich sein, denen die betreffenden Leistungen unterliegen.

Aus dieser Rechtsprechung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass andere als den rechtlichen Kontext betreffende Unterschiede unerheblich sind. Vielmehr ist die Berücksichtigung anderer Unterschiede geboten, soweit sie in den Augen des Durchschnittsverbrauchers zu einer Unterscheidbarkeit im Hinblick auf die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse führen können und daher geeignet sind, seine Wahl zu beeinflussen.

Die Beurteilung der Gleichartigkeit oder Ungleichartigkeit der in einem Freizeitpark einerseits und auf einem Jahrmarkt andererseits dargebotenen Schaustellerleistungen ist letztlich Sache des nationalen Gerichts.

Für diese Beurteilung kann es erheblich sein, dass im vorliegenden Fall
* eine der Leistungen grundsätzlich ständig verfügbar ist, während
* die andere nur einige Tage oder Wochen im Jahr zur Verfügung steht.

Für einen Verbraucher, der die Wahl zwischen dem Besuch eines Freizeitparks oder eines Jahrmarkts hat, kann es sich nämlich als wichtig oder sogar entscheidend erweisen, dass Letzterer nur während eines begrenzten Zeitraums stattfindet.

Im Übrigen basieren Jahrmärkte, wie die deutsche Regierung geltend macht, oftmals auf einem in der Region verankerten Brauchtum, wobei das Spektrum der in seiner Gesamtheit dargebotenen Leistungen vielfältig und kulturell unterlegt ist. Als Kulturgut könnten sie einen hohen Stellenwert im gesellschaftlichen Leben genießen. Diese Faktoren könnten auch die Wahl des Durchschnittsverbrauchers beeinflussen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Außerdem weist das vorlegende Gericht zwar darauf hin, dass in Deutschland für Leistungen in einem Freizeitpark einerseits und auf einem Jahrmarkt andererseits keine unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen gelten, doch geht aus den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung hervor, dass ortsungebundene und ortsgebundene Schaustellerunternehmen nicht denselben nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen, da mit der Genehmigung für das Abhalten eines Jahrmarkts verschiedene „Marktprivilegien“ einhergehen, die für die Dauer der Festsetzung zur Freistellung von bestimmten normalerweise geltenden rechtlichen Anforderungen wie insbesondere den Vorschriften über die Öffnungszeiten führen. Auch insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts festzustellen, ob diese Unterschiede, soweit sie erwiesen sind, die Wahl des Durchschnittsverbrauchers beeinflussen.

Praxistipp

Nun muss das Finanzgericht Köln entscheiden, ob aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers ortsabhängige und ortsunabhängige Schaustellerleistungen vielleicht doch gleich zu beurteilen sind. Allerdings scheint der EuGH nach der Einzelaufzählung in den Entscheidungsgründen („begrenzter Zeitraum“, „in der Region verankertes Brauchtum“, unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen“) eher von einer Ungleichartigkeit auszugehen. Betreibern von ortgebundenen Freizeitparks ist allerdings dringend anzuraten, bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Rechtsfrage die Umsatzsteuerfestsetzungen offenzuhalten.

fundstelle
EuGH 9.9.21, C-406/20, Phantasialand