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Der EuGH hat darauf erkannt, dass das Recht zum Vorsteuerabzug unabhängig davon besteht, dass in der Eingangsrechnung die Anschrift angegeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Gleichzeitig hält der Generalanwalt den Schutz des Vertrauens in das Vorliegen der Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug in Deutschland für unzureichend.

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Sachverhalt 1 (Rs. C – 374/16)

Der Kläger, ein deutscher Kfz-Händler, erwarb Fahrzeuge von D, einer Kapitalgesellschaft. Unter der von D in den Rechnungen angegebenen Anschrift befand sich zwar deren satzungsmäßiger (statuarischer) Sitz. Es handelte sich hierbei jedoch um einen „Briefkastensitz“, unter dem D lediglich postalisch erreichbar war. Geschäftliche Aktivitäten fanden dort nicht statt.

Sachverhalt 2 (Rs. C – 375/16)

Der Kläger, ebenfalls ein deutscher Kfz-Händler, erwarb mehrere Pkw von Z, der seinerseits Fahrzeuge im Online-Handel vertrieb. In den Rechnungen des Z war eine Anschrift angegeben, an der Z zwar Räumlichkeiten angemietet hatte, die aber nicht geeignet waren, dort geschäftliche Aktivitäten zu entfalten.

Entscheidung

Der EuGH hat darauf erkannt, dass es für den Vorsteuerabzug des Rechnungsempfängers nicht erforderlich ist, dass in der Rechnung eine Anschrift angegeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

Beachten Sie

Das Postfach des leistenden Unternehmers (Rechnungsausstellers) reicht aus.

Wortlaut der Vorschrift

Die verschiedenen Sprachfassungen zu dieser Rechnungspflichtangabe – in Deutschland: § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG – weichen voneinander ab. Das Fehlen oder Vorhandensein des Adjektivs „vollständig“ in der Formulierung dieses Erfordernisses gibt daher keinen Aufschluss darüber, ob die in der Rechnung angegebene Anschrift dem Ort entsprechen muss, an dem der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (EuGH, ­Besprechungsurteil, a.a.O., Rz. 33 f.).

Der Begriff „Anschrift“ wird allgemein weit verstanden. Nach Auffassung des EuGH umfasst die gewöhnliche Bedeutung dieses Begriffs jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern die Person ­unter dieser Anschrift erreichbar ist.

Teleologische Auslegung der Vorschrift

Die Angaben, die eine Rechnung enthalten muss, sollen es den Steuerverwaltungen ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren. Dies geschieht vor allem mittels Prüfung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer.

Alle Unternehmen müssen, um diese zu erhalten, ein Registrierungsverfahren durchlaufen, bei dem sie an Ort und Stelle ein Mehrwertsteuer-Registrierungsformular mit entsprechenden Belegen und Unterlagen einreichen müssen. Die Mitgliedstaaten haben nach den Mehrwertsteuervorschriften bestimmte Daten zu speichern. Demgemäß haben die Mitgliedstaaten eine Vielfalt von Informationen in Bezug auf alle Wirtschaftsteilnehmer zu sammeln, denen eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erteilt wurde.

Durch das Registrierungsverfahren sind die Mitgliedstaaten nicht auf die Anschrift in einer Rechnung angewiesen, um den Aussteller zu identifizieren und zu bestimmen, wo und wie er erreicht werden kann.

Auch beim Rechnungsadressaten reicht das Postfach aus

Auch beim Rechnungsadressaten (= Leistungsempfänger) können die unterschiedlichsten Gründe für die Verwendung eines Postfachs sprechen. Die Ausführungen des EuGH dürften hierauf entsprechend anwendbar sein.

Praxishinweis 

  • Hinsichtlich der Adressangaben bleibt alles so wie vor der Rechtsprechungsänderung – und damit so, wie in Abschn. 14.5 Abs. 2 UStAE verfügt.
  • Hinsichtlich der Pflicht zur Überprüfung von Eingangsrechnungen ist die deutsche Rechtspraxis der EuGH-Entscheidung anzupassen – und zwar zugunsten der Kreditoren.
  • Der deutsche Schutz des guten Glaubens dürfte einer Überprüfung durch den EuGH nicht Stand halten – Folgeverfahren sind absehbar.

Fundstellen
EuGH 15.11.17, verbundene Rs. C-374/16 und 375/16, Rochus Geissel und Igor Butin, Schlussanträge des Generalanwalts vom 5.7.17