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Ist es unionsrechtlich geboten, dass einem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Erstattung der von ihm an seine Vorlieferanten zu viel gezahlten Mehrwertsteuer unmittelbar gegen die Finanzbehörde zusteht, auch wenn noch die Möglichkeit besteht, dass die Finanzbehörde durch die Vorlieferanten aufgrund einer Berichtigung der Rechnungen zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen wird und dann möglicherweise keinen Rückgriff mehr beim Steuerpflichtigen nehmen kann?

Hintergrund

In der Rechtsprechung wurde das sich aus dem Unionsrecht ergebende Rechtsinstrument des Direktanspruchs in der Umsatzsteuer (auch „Reemtsma-Rechtsprechung“) entwickelt. Danach kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Leistungsempfänger die Erstattung einer rechtsgrundlos an den Leistenden gezahlten Umsatzsteuer direkt vom Fiskus (statt vom Leistenden) verlangen. Mit BMF-Schreiben vom 12.4.2022 nimmt die Finanzverwaltung dazu Stellung.

Sachverhalt

Der Steuerpflichtige lieferte Holz, das er von seinen Vorlieferanten mit 19 % Umsatzsteuer erworben hatte, an seine Kunden zum ermäßigten Steuersatz von 7 % weiter. In einem gegen das Finanzamt geführten Rechtsstreit bestätigte das FG Münster, dass der Steuerpflichtige seine Holzlieferungen zu Recht dem ermäßigten Steuersatz unterworfen hatte, führte aber zugleich aus, dass auch die Eingangsleistungen seiner Lieferanten lediglich mit 7 % zu besteuern seien. Dem folgend kürzte das Finanzamt den Vorsteuerabzug des Steuerpflichtigen und forderte die Differenzbeträge von ihm zurück.

Der Steuerpflichtige trat an seine Vorlieferanten mit der Bitte heran, ihre Rechnungen zu berichtigen und ihm die Differenz auszuzahlen. Diese machten jedoch die Einrede der Verjährung geltend.

Daraufhin stellte der Steuerpflichtige beim Finanzamt den Antrag, die Differenzbeträge aus Billigkeitsgründen zu erlassen und berief sich hierzu auf das „Reemtsma-Urteil“ des EuGH. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt ab, weil der Steuerpflichtige selbst für die Situation verantwortlich sei, denn er habe die Ware nicht mit einem veränderten Steuersatz weiter veräußern dürfen.

Dagegen klagte der Steuerpflichtige vor dem Finanzgericht.

Entscheidung

Das Finanzgericht hat das Klageverfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein Direktanspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer gegen das Finanzamt in Betracht kommt.

Grundsätzlich sei es unionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer der leistende Unternehmer einen Erstattungsanspruch gegen die Finanzbehörde hat und der Leistungsempfänger auf den Zivilrechtsweg gegen den Leistenden verwiesen wird.

Nach dem „Reemtsma-Urteil“ (und weiteren Folgeentscheidungen des ­EuGH) bestehe aber wegen des Grundsatzes der Effektivität ausnahmsweise ein unmittelbarer Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers gegen die Finanzbehörde, wenn die Erstattung „unmöglich oder übermäßig erschwert wird“. Im deutschen Recht könne dieser Anspruch im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) geltend gemacht werden.

Das Finanzgericht hat Zweifel, ob die EuGH-Rechtsprechung, die stets Fälle der Zahlungsunfähigkeit der jeweils leistenden Unternehmer betroffen habe, auf den vorliegenden Fall Anwendung findet:

* Zwar sei es dem Steuerpflichtigen aufgrund der Einrede der Verjährung zivilrechtlich nicht mehr möglich, seine Ansprüche gegen seine Vorlieferanten durchzusetzen. Diese hätten allerdings zeitlich unbegrenzt die Möglichkeit, ihre Rechnungen nach § 14c Abs. 1 UStG zu berichtigen und von der Finanzbehörde die zu viel gezahlten Umsatzsteuerbeträge erstattet zu bekommen.

* Gestehe man dem Steuerpflichtigen einen Direktanspruch zu, müsse das Finanzamt in diesem Fall von ihm eine Rückzahlung verlangen, was z. B. bei zwischenzeitlich eingetretener Zahlungsunfähigkeit zu einer doppelten Erstattung führen könne.

Nach Auffassung des Finanzgerichts habe der Steuerpflichtige vielmehr eigene Vorkehrungen zur Sicherung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, z. B. durch rechtzeitige Einholung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung, treffen müssen.

Praxistipp

Der EuGH hat die Frage zu beantworten, ob der Reemtsma-Anspruch den Leistungsempfänger ausschließlich vor der Zahlungsunfähigkeit der leistenden Unternehmer schützen soll oder ob auch Fallgestaltungen erfasst werden, in denen die Zahlungsfähigkeit der leistenden Unternehmer an sich außer Frage steht, der Anspruch sich aber aus anderen Gründen (hier: Verjährungseinrede) nicht durchsetzen lässt. Das vorlegende FG Münster scheint Letzteres abzulehnen.

fundstelle
FG Münster 27.6.22, 15 K 2327/20 AO