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Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten aufgrund eines Vorruhestandsmodells, nach dem der Arbeitnehmer bei mindestens 22-jähriger Betriebszugehörigkeit unter teilweiser Fortzahlung der Bezüge bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freigestellt wird, sind ab dem Zeitpunkt der zivilrechtlichen Entstehung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf künftige Freistellung durch die Leistungszusage des Arbeitgebers in Höhe des auflaufenden Erfüllungsrückstands zu bilden.

Sachverhalt

Streitig war u. a., ob in Zusammenhang mit einem Vorruhestandsmodell Rückstellungen zu bilden sind und wie die entsprechenden Beträge gegebenenfalls zu ermitteln sind.

Hintergrund

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sind nicht nur dann zu bilden, wenn (lediglich) die Höhe der Verbindlichkeit ungewiss ist, sondern auch dann, wenn ungewiss ist, ob die Verbindlichkeit überhaupt entstehen wird. Dabei sind an die „Verfestigung“ der Verbindlichkeit keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist nicht zu verlangen, dass schuldrechtliche Verpflichtungen durch einen Vorvertrag, einen aufschiebend bedingten Vertrag, ein unentziehbares Optionsrecht o. Ä. bereits derart verfestigt sind, dass ihre Entstehung allein noch von einer entsprechenden Willenserklärung des anderen Vertragspartners abhängt.

§ 249 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB setzt keinen einklagbaren Anspruch – nicht einmal die bloße Existenz einer potenziellen schuldrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage – voraus. Vielmehr sind die Grundsätze zur Rückstellungsbildung für ungewisse Verbindlichkeiten auch auf bloß faktische und nicht einklagbare ungewisse Verbindlichkeiten gegenüber Dritten anzuwenden, denen sich ein Kaufmann aus sittlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann, obwohl keine Rechtspflicht zur Leistung besteht. Entscheidend für die Bildung von Rückstellungen nach § 249 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB ist, ob das Entstehen der Verbindlichkeit dem Grunde nach überwiegend wahrscheinlich ist. Dies ist der Fall, wenn mehr Gründe dafür als dagegen sprechen, d. h., wenn also das Entstehen dem Grunde nach eher zu erwarten ist als das Nichtentstehen.

Entscheidung

Im Streitfall war die Entstehung von Lohnfortzahlungsverpflichtungen für künftige Freistellungsphasen im vorgenannten Sinn hinreichend wahrscheinlich. Die Steuerpflichtige hatte sich vertraglich verpflichtet, dem jeweiligen Arbeitnehmer auf dessen Wunsch eine dreijährige Freistellung von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung von 70 % des Gehalts zu gewähren. Dass der konkrete Beginn der Freistellung nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Klausel den Abschluss eines weiteren Vertrags – nämlich „eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Mitarbeiter entsprechend einem betriebsüblichen Vereinbarungstext in der jeweils gültigen Fassung“ – voraussetzte, ist nach Meinung des FG unerheblich. Denn die Steuerpflichtige hatte bzw. hat weder die Möglichkeit, sich von ihrer im Anstellungsvertrag verbindlich gegebenen Zusage einseitig zu lösen (indem sie z. B. den Abschluss der zusätzlichen Vereinbarung verweigert), noch hatte bzw. hat sie die Möglichkeit, den Inhalt ihrer Zusage nachträglich maßgeblich zu verändern. Außerdem war es im Streitfall nicht nur „überwiegend“, sondern sogar äußerst wahrscheinlich, dass sie aus den Freistellungszusagen in Anspruch genommen werden würde.

Bei der Berechnung der Rückstellungen ist hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem sich die jeweiligen Rückstellungsbeträge aufbauen, auf die Leistungszusage abzustellen, d. h. auf den Zeitpunkt, zu dem der Anspruch des Arbeitnehmers auf künftige Freistellung zivilrechtlich entstanden ist. Dies war im Streitfall spätestens der Zeitpunkt, zu dem die Vertragsklausel in den jeweiligen Arbeitsvertrag aufgenommen wurde.

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