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Die überlange Dauer eines Einspruchs- oder Klageverfahrens steht der Festsetzung von Aussetzungszinsen nicht entgegen.
Es besteht kein Bedarf für eine Rechtsfortbildung dahingehend, bei überlanger Verfahrensdauer die Festsetzung von Aussetzungszinsen als rechtswidrig anzusehen.
Das geltende Recht bietet schon jetzt ausreichende Möglichkeiten, im Vorfeld die Entstehung von Aussetzungszinsen zu vermeiden oder diese – falls bereits entstanden – im Nachhinein zu kompensieren.
BFH 27.4.16, X R 1/15

Sachverhalt

Der Rechtsstreit um eine Einkommensteuerfestsetzung dauerte knapp 15 Jahre, und zwar von 1996 bis 2011. Letztlich obsiegte die Finanzverwaltung und setzte Auszahlungszinsen i. H. v. rund 500.000 EUR fest.
Im Einspruchs- und Klageverfahren gegen diesen Bescheid machten die Steuerpflichtigen geltend, dass wegen einer überlangen Dauer vor allem des Verwaltungs-, aber auch des Klageverfahrens der Zinsanspruch verwirkt sei.
Zur näheren Begründung beriefen sie sich auf einen Beschluss des FG Rheinland-Pfalz sowie die darin zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).
Das FG wies die Klage ab. Die Voraussetzungen des § 237 AO seien erfüllt. Die Festsetzung der Zinsen entspreche auch dem Zweck der genannten Norm. Der Zinsanspruch sei nicht verwirkt.
Es sei schon fraglich, ob die Verfahrensdauer als überlang anzusehen sei, da die Steuerpflichtigen auf Anfragen des FA nicht reagiert hätten. Jedenfalls habe eine eventuelle Überlänge des Verfahrens keine Auswirkungen auf einen materiellen Steueranspruch.
Aus der Rechtsprechung des EGMR ergebe sich nichts anderes. Im Übrigen hätten die Steuerpflichtigen die Dauer des Verwaltungsverfahrens durch Erhebung einer Untätigkeitsklage abkürzen können. Die Höhe der gesetzlichen Zinsen sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Mit ihrer Revision rügen die Steuerpflichtigen Verstöße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, den Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und gegen „Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“:http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Themenseiten/EuropaUndInternationaleZusammenarbeit/EuropaeischeKonventionMenschenrechte.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (EMRK).
Schon der geänderte Einkommensteuerbescheid sei erst mehr als ein Jahr und acht Monate nach Ende der Außenprüfung ergangen. Das Einspruchsverfahren habe dann fast neun Jahre, das Klageverfahren zur Einkommensteuer nochmals über 4 1/2 Jahre gedauert. Es habe in keinem Verfahrensabschnitt Schwierigkeiten gegeben, die eine derartige Verfahrensdauer gerechtfertigt hätten.

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück:
Das geltende Recht bietet nach Auffassung des BFH ausreichende Möglichkeiten, die Entstehung von Aussetzungszinsen
für ein überlanges Verwaltungsverfahren von vornherein durch Erhebung einer Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) zu vermeiden bzw.
für ein überlanges finanzgerichtliches Verfahren durch die Geltendmachung als materieller Schaden im Rahmen einer Entschädigungsklage (§ 198 ff. GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) ) zu kompensieren.
Daher besteht kein Bedarf für die von den Klägern begehrte Rechtsfortbildung dahingehend, in derartigen Fällen bereits die Festsetzung von Aussetzungszinsen als rechtswidrig anzusehen.

Praxishinweis

Der Steuerberater hat darauf zu achten, dass er rechtzeitig zum richtigen Mittel greift – insbesondere bei längerer Verfahrensdauer die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage prüft. Ansonsten droht ein Haftungsanspruch des Mandanten!