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In einem spannenden Verfahren hat der BFH entschieden, dass Erstattungszinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten anzusehen sind, wenn die zugrunde liegende Steuererstattung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG tarifbegünstigt ist. Damit ist der BFH von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen. Der Sachverhalt, die Entscheidungsgründe sowie die praktischen Auswirkungen werden im Folgenden dargestellt.

Aktueller Zinssatz

Im Bereich der Erstattungs- und Nachzahlungszinsen stellte die Höhe der Zinsen aufgrund der seit Jahren anhaltenden Niedrigzinsphase auf dem Kapitalmarkt den größten Streitpunkt dar. Das BVerfG hatte insoweit entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird (8.7.21, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17).

Diese Ungleichbehandlung sahen die Verfassungsrichter für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume seinerzeit als noch verfassungsgemäß an. Dies gilt jedoch nicht für Verzinsungszeiträume ab 2014. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst dabei auch die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen. Das BVerfG differenzierte jedoch insoweit, als es das bisherige Recht für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume für weiterhin anwendbar erklärte.

Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, wurde der Gesetzgeber dagegen verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Der Zinssatz für Zinsen nach § 233a AO wurde daher für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 auf 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) gesenkt und damit an die verfassungsrechtlichen Vorgaben angepasst (§ 238 Abs 1a AO).

Sachverhalt

Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2012 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger erzielte gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb eines Kraftfahrzeughandels. Seinen Gewinn ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG.

Das Finanzamt erließ Ende November 2012 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2000. Hintergrund war eine geschlossene tatsächliche Verständigung (TV), mit der ein insgesamt mehr als acht Jahre andauerndes Einspruchs-, Klage- und Revisionsverfahren abgeschlossen wurde.

Mit den Änderungsbescheiden wurde die Umsatzsteuer um rund 320.000 EUR herabgesetzt. Dies führte zu festgesetzten Erstattungszinsen i. H. v. insgesamt 203.022 EUR(!).

Auffassung des Klägers

Zunächst behandelte der Kläger die Erstattungszinsen in seinem Jahresabschluss zum 31.12.2012 gewinnerhöhend. Das Finanzamt übernahm den erklärten Gewinn in den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheid 2012 aus Juli 2014. Sodann beantragten die Kläger im Oktober 2014 die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2012 und begehrten die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 EStG auf die Umsatzsteuer-Erstattung sowie auf die Erstattungszinsen (Einkünfte für eine mehrjährige Tätigkeit).

Auffassung des Finanzamts

Das Finanzamt ließ die ermäßigte Besteuerung nach der sog. Fünftelregelung auf die Umsatzsteuer-Erstattungen zu. Die ermäßigte Besteuerung auf die Erstattungszinsen sei aber unzulässig. Das Finanzamt argumentierte dabei mit der hierzu bisher ergangenen BFH-Rechtsprechung aus 2014 (BFH 25.2.14, X R 10/12, BStBl II 14, 668).

Auffassung des FG München

Die Vorinstanz aus München sah in den Erstattungszinsen zur Umsatzsteuer ebenfalls keine außerordentlichen Einkünfte und lehnte die Anwendung der sog. Fünftelregelung ab (FG München 4.5.21, 2 K 1666/20).

Rechtsprechungsänderung des BFH

Bislang stellten Erstattungszinsen für den BFH keine außerordentlichen Einkünfte i. S. d. § 34 EStG dar. Dies begründete der VIII. Senat des BFH auch damit, dass es an einer „Außerordentlichkeit“ im Sinne der Vorschrift mangele (BFH 12.11.13, VIII R 36/10, BStBl II 14, 168).

In der Richtlinie 34.4 Abs. 1 Satz 3 EStR heißt es: „Voraussetzung für die Anwendung ist, dass aufgrund der Einkunftsermittlungsvorschriften eine Zusammenballung von Einkünften eintritt, die bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit auf wirtschaftlich vernünftigen Gründen beruht und bei anderen Einkünften nicht dem vertragsgemäßen oder dem typischen Ablauf entspricht.

Der BFH hat jetzt seine Rechtsauffassung geändert und stimmte der Auffassung des Klägers zu. Damit hob er das Urteil der Vorinstanz aus München auf. Nach der jetzt vertretenen Auffassung des BFH stellen sowohl die aufgrund des langjährigen Rechtsstreits zusammengeballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen als auch die darauf beruhenden Erstattungszinsen ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte dar (Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit). Auch Erstattungszinsen zu Betriebssteuern sind Vergütungen i. S. d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG. So vertritt der BFH die Auffassung, dass Erstattungszinsen zu Betriebssteuern auch für eine „Tätigkeit“ bezogen sind. Damit wird auch eine zwangsweise Überlassung von Kapital entgegen der bisherigen BFH-Rechtsprechung als „Tätigkeitsvergütung“ angesehen. Die in der Kapitalüberlassung liegende Tätigkeit ist zudem mehrjährig i. S. d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 2 EStG. Eine „Außerordentlichkeit“ liegt ebenso vor, weil auch die für mehrere Jahre zusammengeballt erstatteten Zinsen zu einer Progressionswirkung führen.

Auswirkungen auf die Praxis

Die (zugunsten der Steuerzahler) geänderte Rechtsauslegung kann in allen verfahrensrechtlich offenen Sachverhalten zur Anwendung kommen. Vergleichbare Sachverhalte sollten offengehalten werden, da gegenwärtig abzuwarten bleibt, wie die Finanzverwaltung auf diese geänderte Rechtsprechung reagieren wird.

Fazit | Nach der nun vorliegenden Entscheidung des X. Senats des BFH wird also auch für Erstattungszinsen eine Tarifbegünstigung als Vergütung für ­eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zugelassen. Insoweit kam es zudem nicht zu einer Vorlage an den Großen Senat, da der VIII. Senat des BFH auf Anfrage des X. Senats des BFH erklärte, dass er entgegen seiner bislang geäußerten Rechtsauffassung den Bezug von Erstattungszinsen nunmehr auch als Vergütung einer Tätigkeit beurteile (BFH 1.8.23, VIII R 8/21, BFH/NV 23, 1354 Rn. 23). Gegen eine Erstreckung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG auf die Erstattungszinsen spreche, dass ihre Festsetzung für einen längeren, periodenübergreifenden Zeitraum und der daran anknüpfende Zufluss in einem Betrag keineswegs untypisch sei.

Anmerkung

Die Angemessenheit des Zinssatzes ist nach § 238 Abs. 1c AO unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle zwei Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume zu evaluieren. Dies erfolgt nun erstmals zum 1.1.2024.

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