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Schwerbehinderte Menschen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 70 oder einem Grad der Behinderung von mindestens 50 und erheblicher Beeinträchtigung der Beweglichkeit im Straßenverkehr haben nach § 9 Abs. 2 EStG die Möglichkeit, Fahrten zwischen der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte (ab 2014: der „ersten Tätigkeitsstätte“:) als Werbungskosten geltend zu machen.
BFH 11.3.14, VI B 95/13

Zusätzlich können auch Familienheimfahrten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung anstelle der Entfernungspauschale mit den tatsächlichen Kosten bzw. mit 0,30 EUR je gefahrenen Kilometer in Abzug gebracht werden.
Dies gilt allerdings nur, wenn die behinderungsmäßigen Voraussetzungen auch für den jeweiligen Veranlagungszeitraum vorliegen.

Sachverhalt

Dem Steuerpflichtigen war zunächst (seit 1994) ein Behinderungsgrad von 80 zuerkannt worden, weshalb er für die Streitjahre 2000 bis 2007 die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte nicht mit der Entfernungspauschale, sondern nach § 9 Abs. 2 EStG geltend machte.
Da ihm der Grad der Behinderung im Dezember 1999 auf 20 herabgesetzt worden war, führte der Steuerpflichtige hiergegen erfolglos ein Klage – und Beschwerdeverfahren, das mit der Beschwerdeentscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) aus Dezember 2006 (zugestellt im Januar 2007) seinen Abschluss fand. Das FA änderte daraufhin den Werbungskostenabzug für die Jahre 2000 bis 2007, indem es nunmehr lediglich die Entfernungspauschale berücksichtigte.
Der Steuerpflichtige vertrat dagegen die Auffassung, der auf einen Behinderungsgrad 80 lautende Schwerbehindertenausweis sei bis zur Bestandskraft der Entscheidung des BSG im Januar 2007 einkommensteuerrechtlich weiterhin maßgebend.

Entscheidung

Der BFH stellte klar, dass trotz Fortgeltung des Schwerbehindertenausweises bis zum bestandskräftigen Abschluss eines den Grad der Behinderung herabsetzenden Neufeststellungsverfahrens einkommensteuerrechtlich der herabgesetzte Grad der Behinderung bereits auf den Neufeststellungszeitpunkt (im Urteilsfall also bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2000) zu berücksichtigen ist.
Die Folgerungen aus der Neufeststellung, die verfahrensrechtlich vom FA als Grundlagenbescheid ohne eigene Prüfungskompetenz zu berücksichtigen sind (§ 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO), gelten schon deshalb zum Neufeststellungszeitpunkt, weil von diesem Moment an behinderungsbedingte erhöhte Wegekosten im Sinne des § 9 Abs. 2 EStG nicht länger zu erwarten sind.

Praxishinweis

Einkommensteuerrechtlich kommen daher die Schutzvorschriften des § 38 Abs. 1 SchwbG bzw. § 116 Abs. 1 SGB IX (Beendigung der Anwendung der besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen erst ab dem Ende des dritten Monats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des den Grad der Behinderung verringernden feststellenden Bescheids) nicht zur Anwendung.
Denn in einem an der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Gebot steuerlicher Lastengleichheit ausgerichteten Einkommensteuerrecht ist eine steuerliche Begünstigung nicht- oder minderbehinderter Steuerpflichtiger für einen Übergangszeitraum nicht geboten, da es in diesem Zeitraum bereits an einem behinderungsbedingten Mehraufwand an Wegekosten fehlt.