In Steuer-Tipps für ALLE

Ende Mai hat der Bundesfinanzhof (BFH) zur möglichen Doppelbesteuerung von Renten geurteilt. In beiden Streitfällen wurde die Doppelbesteuerung jeweils verneint. Doch in den Urteilsbegründungen finden sich zahlreiche wichtige Informationen für die Beratungspraxis. Die wichtigste Information ist wohl, dass eine Doppelbesteuerung im Einzelfall tatsächlich vorliegen kann.

Die Nachweispflicht der Doppelbesteuerung liegt dabei beim Rentner. Außerdem hat der BFH Rechenregeln zur Ermittlung der Höhe des steuerfreien Rentenanteils ausgegeben. Ein Berechnungsschema zur Ermittlung der Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse und zur Ermittlung der Summe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen haben wir in einer Arbeitshilfe für Sie aufbereitet.

Worum ging es in den beiden Urteilsfällen?

Im ersten Urteilsfall ging es um einen Rentner, der während seiner aktiven Erwerbstätigkeit überwiegend als selbstständiger Steuerberater tätig war. Auf Antrag blieb er während dieser Zeit in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Er versteuerte seine Renten seit 2007, wobei 46 % der ausgezahlten Rente steuerfrei blieb.

Der Rentner vertrat jedoch die Auffassung, dass er rechnerisch deutlich mehr als 46 % seiner Rentenversicherungsbeiträge aus seinem bereits versteuerten Einkommen erbracht habe. Dadurch führe die Rentenbesteuerung zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung von Teilen seiner Rente. Der BFH verneinte gleichwohl eine Doppelbesteuerung (BFH 19.5.21, X R 33/19).

Im zweiten Urteilsfall klagte ein Rentner, der während seiner aktiven Erwerbstätigkeit als Zahnarzt arbeitete und Pflichtmitglied eines berufsständigen Versorgungswerks und zusätzlich freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung war. Zudem zahlte er in mehrere Basis-Rentenversicherungsverträge (sog. Rürup-Rente) ein. Für die Rente aus dem Versorgungswerk und für die gesetzliche Rente kam bei der Besteuerung die Öffnungsklausel zur Anwendung. Bezüglich der Rürup-Renten sah der Kläger eine Doppelbesteuerung von Teilen der Renten. Der BFH wies die Klage dennoch als unbegründet ab (BFH 19.5.21, X R 20/19).

Doppelbesteuerung kann in Einzelfällen durchaus gegeben sein

Zwar wurde in den beiden Streitfällen eine Doppelbesteuerung verneint. Im Einzelfall kann es jedoch aufgrund des derzeitigen Besteuerungssystems für Renten durchaus zu einer Doppelbesteuerung von Teilen der Rente kommen. Kann die Doppelbesteuerung nachgewiesen werden, kann dem Rentner aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf Milderung des Steuerzugriffs in der Rentenbezugsphase zustehen.

Praxistipp | Das bedeutet für die Beratungspraxis, dass diese beiden Urteile keine Aussagekraft auf andere Streitfälle haben, wenn es um die Frage geht, ob Teile einer Rente doppelt besteuert werden. Fordern die Finanzämter aufgrund der beiden BFH-Urteile Rentner pauschal dazu auf, ihre Einsprüche wegen der nicht gegebenen Erfolgsaussichten zurückzunehmen, ist dieser pauschale Verweis auf die beiden Urteile fehlerhaft.

Wer muss die Doppelbesteuerung nachweisen?

In der Nachweispflicht ist der Rentner. Er muss anhand einer Vergleichs- und Prognoserechnung auf Grundlage des Nominalwertprinzips nachweisen, dass die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse höher ausfällt als die Summe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen.

Nachweisprobleme dürfte es meist bei Ermittlung der Summe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen geben. Denn die meisten Rentner dürften ihre Steuerbescheide der letzten Jahrzehnte nicht aufbewahrt haben.

Praxistipp | An den fehlenden Steuerbescheiden für die letzten Jahrzehnte sollte der Nachweis der Doppelbesteuerung von Teilen der Rente jedoch nicht scheitern. Im Urteil mit dem Aktenzeichen X R 33/19 findet sich in Randziffer 22 ein Hinweis auf gewisse Darlegungserleichterungen. Ergänzende Schätzungen sind hier also durchaus zulässig.

Nachweis der Doppelbesteuerung von Renten in drei Schritten

Der Nachweis der Doppelbesteuerung kann nach der Begründung der Urteile in drei Schritten erbracht werden:

* Schritt 1: Ermitteln Sie für Ihren Mandanten die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse.

* Schritt 2: Ermitteln Sie die Summe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen. Das sind die Beitragszahlungen zu Rentenversicherungen, die sich nicht als Sonderausgaben ausgewirkt habe.

* Schritt 3: Vergleichen Sie nun die Summen aus Schritt 1 und 2. Ist die Summe aus Schritt 2 höher als die Summe aus Schritt 1, liegt eine Doppelbesteuerung von Teilen der Renten vor und Ihr Mandant hat Anspruch auf Milderung der Besteuerung.

Ermittlung der Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse

Bei der Ermittlung der Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse, gibt es folgende vier Besonderheiten, die die Richter des BFH herausgestellt haben:

1. Der steuerfreie Teilbetrag der Rente (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG) ist im Zeitpunkt des Renteneintritts mit der zu erwartenden durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung (siehe hierzu Sterbetafel des Statistischen Bundesamts) zu multiplizieren.

2. Die so ermittelten voraussichtlich steuerfreien Rentenzuflüsse dürfen nicht um eine mögliche Inflation gemindert werden.

3. Bei Rentnern, die Hinterbliebene hinterlassen, muss zusätzlich der steuerfreie Teil einer möglichen Witwer/Witwen- bzw. Waisenrente berücksichtigt werden.

4. Das Finanzamt darf den Werbungskosten-Pauschbetrag von 102 EUR, den Grundfreibetrag von aktuell 9.744 EUR und weitere Abzugsbeträge – wie Beitragszahlungen zur Kranken- und Pflegeversicherung – nicht in die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse einbeziehen.

Praxistipp | Punkt 4 ist wohl der wichtigste Etappensieg für Rentner, wenn sie anhand einer Vergleichs- und Prognoseberechnung eine Doppelbesteuerung ihrer Rentenzuflüsse feststellen möchten. Denn bei einer statistischen Lebenserwartung von 20 Jahren bei Rentenbeginn, erhöhte sich die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse nach Berechnung der Finanzämter bisher um rund 170.000 EUR. Kleiner Wermutstropfen ist die Erfassung der Witwen- bzw. Waisenrente.

Besonderheiten bei Ermittlung der aus versteuertem Einkommen geleisteten Vorsorgeaufwendungen

Wie bereits erwähnt, kann ein Steuerzahler bei Ermittlung der Summe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen auch auf plausible Schätzungen zurückgreifen, sollten die Steuerbescheide der letzten Jahrzehnte nicht aufbewahrt worden sein (was wohl der Grundsatz sein dürfte).

Eine weitere Besonderheit betrifft Vorsorgeaufwendungen bei Nullfestsetzungen: Der BFH lehnt eine Differenzierung ab, ob tatsächlich eine Steuer festgesetzt wurde. Bei der Vergleichs- und Prognoseberechnung ist stets auf die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abzustellen.

Weitere Signalwirkungen, die sich aus den beiden BFH-Urteilen ergeben

Zwischen den Zeilen der Urteilsbegründung finden sich zahlreiche weitere Aussagen, die enorme Bedeutung für die Beratungspraxis eines Steuerberaters haben. Hier ein Überblick über weitere wichtige Aussagen:

* Kann bereits während der aktiven Erwerbstätigkeit Einspruch eingelegt werden?

Nein. Selbst wenn schon heute klar ist, dass es beim späteren Eintritt in den Ruhestand zu einer Doppelbesteuerung kommen wird, kann gegen den Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen noch kein Einspruch eingelegt werden. Die Vergleichs- und Prognoseberechnung zum Nachweis einer möglichen Doppelbesteuerung kann erst bei Renteneintritt aufgestellt werden.

* Werden künftige Renten eher doppelt besteuert?

Der BFH erwartet für Rentenjahrgänge ab 2025, dass diese durch das derzeitige Rentenbesteuerungssystem in eine Doppelbesteuerung von Teilen ihrer Rente rutschen könnten. Das Bundesfinanzministerium hat online bereits reagiert und eine Reform der Rentenbesteuerung in Aussicht gestellt. Angedacht ist, dass die Beitragszahlungen in die Rentenversicherung nicht erst 2025 in voller Höhe als Sonderausgaben abziehbar sind, sondern bereits früher. Eine Reform dürfte allerdings frühestens nach der Bundestagswahl in diesem Jahr kommen.

Fundstellen
* BFH 19.5.21, X R 33/19, BFH 19.5.21, X R 20/19