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Ermöglicht der Betreiber einer „Stromtankstelle“ den Fahrern von Elektrofahrzeugen den eigentlichen Ladevorgang in Kombination mit Dienstleistungen, die das Laden unterstützen, dann erbringt er damit eine komplexe einheitliche Leistung, die umsatzsteuerlich zur „Lieferung von Gegenständen“ i. S. v. Art. 14 Abs. 1 der MwStSystRL führt.

Was ist E-Charging?

Unter E-Charging versteht man das Aufladen eines Elektrofahrzeugs an einer gewerblich betriebenen „Stromtankstelle“. Die Besonderheit besteht darin, dass – anders als bei einer herkömmlichen Tankstelle, deren Leistung sich auf den Verkauf der jeweiligen Kraftstoffe beschränkt – der Ladevorgang i. d. R. durch diverse flankierende Leistungen unterstützt wird.

Bislang war weitgehend ungeklärt, ob die Leistungen einzeln oder als Gesamtpaket zu beurteilen sind. Sollte Letzteres der Fall sein, stellt sich die Frage, ob das Gesamtpaket zu einer Lieferung oder zu einer sonstigen Leistung führt.

Lediglich der Mehrwertsteuer-Ausschuss der Europäischen Kommission hatte sich dazu am 3.6.2019 mit einer Leitlinie positioniert. Leitlinien, die vom MwSt-Ausschuss herausgegeben werden, geben lediglich die Ansichten des beratenden Ausschusses wieder. Sie stellen daher weder eine offizielle Auslegung des Unionsrechts dar, noch stimmt ihnen die Europäische Kommission unbedingt zu. Sie binden weder die Europäische Kommission noch die Mitgliedstaaten, denen es freisteht, sie nicht zu befolgen.

Um was ging es in dem Streitfall genau?

In dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt musste der EuGH in einem polnischen Fall zu umsatzsteuerlichen Fragen der Nutzung von Elektrofahrzeugen Stellung nehmen.

Der Steuerpflichtige beabsichtigte die Errichtung und den Betrieb von öffentlich zugänglichen Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Dabei sollte der Ladevorgang – je nach dem Bedarf des betreffenden Nutzers – folgende Einzelleistungen umfassen:

  • Bereitstellung von Ladevorrichtungen, einschließlich der Verbindung des Ladegeräts mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs,

  • Übertragung von Elektrizität mit entsprechend angepassten Parametern an die Batterie des Elektrofahrzeugs sowie

  • notwendige technische Unterstützung.

Der Steuerpflichtige beabsichtigte auch, eine spezielle Plattform, Website oder Anwendungssoftware bereitzustellen, über die die jeweiligen Nutzer einen bestimmten Anschluss reservieren und den Verlauf der getätigten Umsätze und der erfolgten Zahlungen einsehen könnten. Für alle diese Leistungen beabsichtigte der Steuerpflichtige einen einheitlichen Preis in Rechnung zu stellen.

Die polnische Steuerbehörde vertrat die Auffassung, dass die Lieferung der für das Aufladen eines Elektrofahrzeugs erforderlichen Elektrizität als Hauptleistung anzusehen sei. Die anderen vom Steuerpflichtigen angebotenen (Dienst-)Leistungen seien dazu Nebenleistungen. Daraus folge, dass die Bereitstellung von Geräten, die ein rasches Aufladen von Elektrofahrzeugen ermöglichten, nicht als dominierender Bestandteil des betreffenden Umsatzes anzusehen sei und dass das Aufladen des Fahrzeugs nicht von untergeordneter Bedeutung sei.

Auf eine Klage des Steuerpflichtigen hob das zuständige polnische Verwaltungsgericht den Steuerbescheid auf. Das Gericht meinte, die primäre Absicht der Nutzer von Ladestationen bestehe darin, Geräte zu nutzen, die es ihnen ermöglichten, ihr Fahrzeug schnell und effizient aufladen zu können. Damit bestehe die Hauptleistung aus der Sicht des betreffenden Nutzers im Zugang zu einer Ladestation und in der notwendigen Verbindung eines Ladegeräts mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs. Ziel eines solchen Umsatzes sei es nicht, Elektrizität anzubieten, sondern den betreffenden Nutzern die hochentwickelten Ladevorrichtungen zur Verfügung zu stellen, mit denen diese Ladestationen ausgestattet seien.

Die Attraktivität des Angebots von Stationen zum Aufladen von E-Fahrzeugen ergebe sich hauptsächlich aus der Ladezeit und nicht aus dem Zugang zur Elektrizität als solcher. Die Leistung unterscheide sich von derjenigen von Tankstellen, die herkömmliche Kraftstoffe anböten, da dabei nicht auf die Art oder die Qualität von Kraftstoffen abgestellt werde, sondern auf die Schnelligkeit und die Effizienz des Aufladens.

Die Steuerbehörde legte bei dem vorlegenden polnischen Gericht Kassationsbeschwerde gegen das Urteil ein. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die vom Steuerpflichtigen beabsichtigte Leistung als komplexe einheitliche Leistung eine „Lieferung von Gegenständen“ oder eine „Dienstleistung“ darstellt.

Entscheidung

Das Urteil ordnet die gesamte Leistung einheitlich als eine Lieferung ein, da die Übertragung von Elektrizität zum Aufladen von Elektrofahrzeugen den maßgebenden Bestandteil der Leistung darstelle und jegliche andere Dienstleistung als Nebenleistung zu qualifizieren sei. Die Übertragung von Elektrizität stellt den charakteristischen und dominierenden Bestandteil der einheitlichen und komplexen Leistung dar. Denn der Nutzer des Ladegeräts wird im Rahmen des Ladevorgangs ermächtigt, die übertragene Elektrizität, die nach Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt ist, zum Zweck des Antriebs seines Fahrzeugs zu verbrauchen. Dagegen stellt die Gewährung des Zugangs zu dieser Vorrichtung lediglich eine minimale Dienstleistung dar, die notwendig mit der Lieferung von Elektrizität verbunden ist.

Praxistipp

E-Charging führt in der dargestellten Form als Gesamtpaket also zu einer Lieferung. Die Praxis hätte sicher die Annahme einer Dienstleistung bevorzugt. Denn das Laden durch ausländische Unternehmenskunden hätte dann zu einer B2B-Leistung geführt – mit den bekannten Folgen (Nettoabrechnung und Reverse Charge). Nach dem EuGH-Urteil muss die Abrechnung – wie beim Tanken – im Ursprungsland unter Ausweis der Umsatzsteuer brutto erfolgen. Der Unternehmenskunde ist also wie beim Tanken auf das Vorsteuer-Vergütungsverfahren angewiesen.

Anmerkung

Der EuGH musste sich leider nicht mit der mittlerweile typischen Wertschöpfungskette des Aufladens von Elektrofahrzeugen beschäftigen, in der es einen Ladepunktbetreiber („Charge Point Operator“/CPO) und einen Mobilitätsanbieter („Mobility Provider/eMP) gibt. Auch hierzu hat sich aber bereits der Mehrwertsteuer-Ausschuss am 19.4.21 mit einer weiteren Leitlinie positioniert. Letzteres erfolgte natürlich wieder ohne Bindungswirkung (s. o.).

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