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Erhält ein Unfallopfer von der Versicherung des Schädigers Ersatz für den rein hypothetisch berechneten Erwerbs- und Fortkommensschaden, kommt eine Anwendung von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht in Betracht, wenn die Vereinbarung der an der Schadensregulierung Beteiligten nicht dahin gedeutet werden kann, dass damit Ersatz für steuerbare Einnahmen aus einer konkreten Einkunftsquelle i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG gezahlt werden sollte. |

Sachverhalt

Die im Jahr 1991 geborene Steuerpflichtige wurde im Jahr 2003 Opfer eines schweren Autounfalls in der Schweiz. Sie leidet seitdem unter irreversiblen körperlichen und geistigen Folgeschäden (Grad der Behinderung 100 %; Merkzeichen G, H). Aufgrund ihrer Schädigung ist sie zeitlebens nicht in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen oder Arbeitseinkommen zu erzielen. Nach langjährigen juristischen Auseinandersetzungen leistete die Versicherungsgesellschaft im Streitjahr u. a. eine als „Verdienstausfall“ bezeichnete Zahlung i. H. v. rund 700.000 EUR. Die Steuerpflichtige wies diese in ihrer Einkommensteuererklärung als steuerpflichtige Einnahme i. S. d. §§ 19, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG aus. In diesem Zusammenhang machte sie auch Rechtsanwaltskosten i. H. v. rund 60.000 EUR als Werbungskosten geltend.

Das FA unterwarf die als „Verdienstausfall“ bezeichnete Versicherungsleistung nach § 34 Abs. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung. Hiergegen machte die Steuerpflichtige nachfolgend geltend, dass die Versicherungsentschädigung nicht steuerbar sei.

Entscheidung

Die Steuerpflichtige bekam vor dem BFH recht. Der BFH entschied, dass die Versicherungsleistung nicht steuerbar ist. Dementsprechend sind die Rechtsanwaltskosten nicht als Werbungskosten, sondern als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Begründung

Im Streitfall bestand kein kausaler Zusammenhang zwischen Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen aus einer bestimmten Einkunftsart.

Steht einem im Kindesalter geschädigten Steuerpflichtigen nach nationalem Schadenersatzrecht auch der Ersatz eines solchen (abstrakten) Erwerbs- und Fortkommensschadens zu – etwa weil ohne konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein junger Mensch auf Dauer seine Möglichkeiten, gewinnbringend tätig zu sein, nicht nutzen und ohne Einkünfte bleiben wird und wird damit im Ergebnis lediglich eine dem Geschädigten entzogene Chance, sich ein Erwerbsleben aufzubauen, im Wege der Schadensregulierung entgolten, kann aus einem im Rahmen dieser Regulierung erforderlichen prognostizierten Verlauf eines rein hypothetischen Erwerbslebens grundsätzlich weder auf eine bestimmte Einkunftsart (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG) noch auf die Steuerbarkeit der hierbei lediglich abstrakt unterstellten Einkünfte geschlossen werden. Es fehlt insoweit schon an einer bestimmten möglichen Einkunfts- bzw. Erwerbsquelle der Steuerpflichtigen und mithin auch an der erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen.

Im Streitfall stand die im Schädigungszeitpunkt 12 Jahre alte Steuerpflichtige in keinem Arbeitsverhältnis. Sie hatte altersbedingt auch weder ein Ausbildungs- noch ein Arbeits- oder irgendwie geartetes Erwerbsverhältnis angestrebt. Der der Steuerpflichtigen zugeflossene, für eine rein hypothetische Erwerbstätigkeit gezahlte „Verdienstausfall“ stellte lediglich Ersatz für die der Steuerpflichtigen genommene Möglichkeit, sich überhaupt für ein Erwerbsleben zu entscheiden oder ein solches anzustreben, dar. Es fehlte hiernach an der nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen der nach Schweizer Recht gewährten Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen.

Fundstelle
BFH 26.5.20, IX R 15/19