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Der EuGH hatte zu entscheiden, ob Dienstleistungen durch Einrichtungen für betreutes Wohnen steuerfrei sind.

Hintergrund

Steuerbefreit sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL die „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.
EuGH 21.1.16, C-335/14, Les Jardins de Jouvence, MwStR 2016, 235

Sachverhalt

Les Jardins de Jouvence – Klägerin in dem Verfahren vor dem EuGH – stellt in Belgien als Einrichtung für betreutes Wohnen Wohnungen für ein oder zwei Personen zur Verfügung, die aus Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und ausgestattetem Badezimmer bestehen.
Darüber hinaus werden verschiedene Leistungen entgeltlich angeboten, die auch anderen Personen zugänglich sind, nämlich Restaurant mit Bar, ein Friseur- und Schönheitssalon, ein Physiotherapieraum, Ergotherapie, eine Wäscherei, eine Ambulanz mit Blutentnahmedienst sowie eine Arztpraxis.
Die Klägerin führte umfangreiche Baumaßnahmen durch. Auf den Bau entfallende Mehrwertsteuer brachte sie als Vorsteuer zum Abzug, da sie der Auffassung war, dass ihre Leistungen steuerpflichtig seien. Die ihr erteilte Betriebsgenehmigung für die Einrichtung für betreutes Wohnen bedeute nicht auch die Anerkennung ihres sozialen Charakters.
Sie habe keine öffentlichen Mittel erhalten und ihre Bewohner nähmen keine öffentliche Förderung oder Kostenbeteiligung in Anspruch. Die belgische Finanzbehörde vertrat die Auffassung, dass Einrichtungen, die die Betreuung von Betagten zum Auftrag haben, steuerbefreit seien. Somit sei der Abzug der Mehrwertsteuer unzulässig.

Entscheidung

1. Der EuGH stellt klar: Die Anerkennung als „Einrichtung mit sozialem Charakter“ i. S. d. Art. 132 MwStSystRL ist eine Ermessensentscheidung der Mitgliedstaaten. Hierbei seien zu berücksichtigen:
das „Bestehen spezifischer Vorschriften – seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit“,
das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,
die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen und
dass die Kosten der fraglichen Leistungen „unter Umständen“ zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.
2. Nach dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL sind die Dienstleistungen der Altenheime ausdrücklich als „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen“ steuerbefreit.
Die von einem Altenheim oder einer Einrichtung für betreutes Wohnen jeweils zur Verfügung gestellten Wohnungen und die anderen Dienstleistungen sind gleich zu behandeln. Die „anderen Dienstleistungen“ sind steuerbefreit, sofern sie „bezwecken, die Unterstützung und Betreuung von Senioren sicherzustellen, und denjenigen entsprechen, die auch Altenheime nach diesen Regelungen anbieten müssen“.
Dazu gehören nach Auffassung des EuGH Verpflegung, die zumindest einmalige wöchentliche Reinigung der Privatwohnung und die Möglichkeit eines Wäschedienstes für die Bewohner. Dazu gehören jedoch nicht Friseur- und Kosmetikdienst-leistungen.

Praxishinweis

Die entsprechende nationale Befreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG setzt demgegenüber die Kostenübernahme in bestimmtem Umfang voraus (25 Prozent der Fälle). Bei Beachtung der Aussagen des EuGH dürfte diese „Anerkennungsgrenze“ für Altenheime, Altenwohnheime bzw. für Einrichtungen für betreutes Wohnen unionsrechtswidrig sein.