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Erst die Einreichung der Anlage U zur Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist das rückwirkende Ereignis i. . . § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AO, das zur Änderung der ESt-Festsetzung des Empfängers der Unterhaltsleistung nach § 22 Nr. 1a EStG führt.

Sachverhalt

Die Steuerpflichtige erhielt im Rahmen der Scheidungsvereinbarung im Jahre 2007 von ihrem Ehemann in Abänderung einer früheren Vereinbarung zum Zugewinnausgleich einen „Abgeltungsbetrag“ i. . . 10.000 EUR, den sie in ihrer ESt-Erklärung für 2007 nicht als Unterhaltsleistungen erklärte. Der Ehemann reichte die Anlage U mit Zustimmung der Steuerpflichtigen im Februar 2010 ein. Das FA erkannte erst im September 2015 die Zahlung als Sonderausgaben durch Einspruchsentscheidung an. Daraufhin änderte es im November 2015 die ESt-Festsetzung der Steuerpflichtigen für 2007 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und erfasste die Unterhaltszahlung nach § 22 Nr. 1a EStG. Einspruch und Klage blieben erfolglos, die Festsetzungsfrist sei gewahrt, da das rückwirkende Ereignis erst mit Anerkennung der Zahlung durch das für den Ehemann zuständige FA im Jahre 2015 eingetreten sei.

Entscheidungsgründe

Der BFH gibt der Revision der Steuerpflichtigen wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist statt.

Rückwirkendes Ereignis bereits mit Eingang der Anlage U
Maßgebendes rückwirkendes Ereignis i. . . § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AO ist beim sog. Realsplitting die Stellung des Antrags auf Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen durch den Ehemann samt Einreichung der Zustimmungserklärung der Steuerpflichtigen beim FA am 12.2.2010. Ob ein Ereignis steuerlich zurückwirkt, entscheidet sich nach dem jeweiligen materiellen Steuerrecht. Unterhaltsleistungen sind gem. § 22 Nr. 1a EStG sonstige Einkünfte, soweit sie nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG vom Geber als Sonderausgaben abgezogen werden können. Dies ist der Fall, wenn der unbeschränkt steuerpflichtige geschiedene oder dauernd getrennt lebende Ehegatte dem Antrag des Gebers zustimmt. Ein solcher mit Zustimmung des Empfängers gestellter Antrag des Gebers ist rechtsgestaltend, da hierdurch die Unterhaltsleistungen in den steuerlich relevanten Bereich der Sonderausgaben überführt werden. Auf den ggf. später tatsächlich erfolgenden Ansatz der Sonderausgaben beim Zahlenden kommt es daher nicht an. Damit ist bereits am 12.2.2010 das Ereignis eingetreten, welches zur Steuerbarkeit der Unterhaltsleistungen bei der Steuerpflichtigen als Unterhaltsberechtigte nach § 22 Nr. 1a EStG führte.

Festsetzungsfrist für Änderungsbescheid

Gem. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO begann die vierjährige Festsetzungsfrist aufgrund des bereits im Jahr 2010 eingetretenen rückwirkenden Ereignisses mit Ablauf dieses Jahres zu laufen und endete Ende 2014. Der erst im November 2015 für die Steuerpflichtige erlassene Änderungsbescheid erging somit außerhalb dieser Festsetzungsfrist.

Keine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO

Die Änderung des ESt-Bescheids für die Steuerpflichtige gem. § 174 Abs. 4 ist nicht möglich, da diese nicht gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO als Dritte am Einspruchsverfahren des Ehemanns gegen dessen ESt-Bescheid beteiligt worden war.

Charakter der „Abfindungszahlung“

Es kann offenbleiben, ob es sich bei Zahlung von 10.000 EUR überhaupt um „Unterhaltsleistungen“ i. . . § 22 Nr. 1a EStG handelte oder ob diese Zahlung nach dem Wortlaut der Vergleichsvereinbarung eine einkommensteuerlich nicht relevante Abfindung für einen geltend gemachten Zugewinnausgleichsanspruch darstellte.

Fazit | er Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses hat, wie dieses Urteil zeigt, Auswirkungen auf die Festsetzungsfrist des zu ändernden Bescheids. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist ein (auch bestandskräftiger) ESt-Bescheid, in dem keine Unterhaltsleistungen durch den geschiedenen Ehepartner erfasst sind, dann durch deren Erfassung als sonstige Einkünfte zu ändern, wenn später der Unterhaltsverpflichtete den Antrag auf Anerkennung als Sonderausgabe durch Einreichung der Anlage U stellt und dies mit Zustimmung des Unterhaltsempfängers erfolgt.

Im Hinblick auf die Festsetzungsfrist des § 175 Abs. 1 S. 2 AO ist bedeutsam, dass der maßgebende Zeitpunkt für den Eintritt des rückwirkenden Ereignisses nicht die Anerkennung der Sonderausgaben durch das FA des Zahlenden ist, sondern der Eingang des Antrags auf Abzug als Sonderausgaben durch die Anlage U.

Bei einer solchen Änderung des ESt-Bescheids ist zu prüfen, wann die Anlage U eingereicht wurde und ob das FA die Festsetzungsfrist beachtet hat. Dies gilt vor allem, wenn sich die Entscheidung über den Sonderausgabenabzug beim Geber über mehrere Jahre verzögert. Bei einer auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderung ist zu prüfen, ob im Einspruchs- oder Klageverfahren des Zahlenden die Hinzuziehung des Empfängers als Dritten gem. § 174 Abs. 5 AO erfolgt ist.

Bei Scheidungsvereinbarungen über Zahlungspflichten muss darauf geachtet werden, dass diese ausdrücklich als Unterhaltsleistungen deklariert werden, wenn der Zahlende diese als Sonderausgabe geltend machen will.

Fundstelle
BFH 28.7.21, X R 15/19