Streitig war, ob eine nationale Regelung, die vorsieht, dass mehr als 5 % der Dividenden, die Finanzintermediäre als Muttergesellschaften von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften beziehen, besteuert werden, gegen das Unionsrecht verstößt. Zu prüfen war, ob dies ggf. auch dann gilt, wenn diese Besteuerung durch eine Steuer erfolgt, die keine Körperschaftsteuer ist, deren Bemessungsgrundlage aber diese Dividenden oder einen Teil davon umfasst. Mithin war zu prüfen: Darf ein Mitgliedstaat, der das Befreiungssystem der Mutter-Tochter-Richtlinie (RL 2011/96/EU) anwendet, Dividenden aus EU-Tochtergesellschaften bei Finanzintermediären über die zulässigen 5 % hinaus belasten – etwa indem er sie zusätzlich (teilweise) in die Bemessungsgrundlage einer anderen, nicht körperschaftsteuerlichen Abgabe einbezieht? Genau diese Frage hat der EuGH nun geklärt.
Sachverhalt
In den Steuerjahren 2014 und 2015 bezog die Banca Mediolanum, eine Bank mit steuerrechtlichem Sitz in Italien, Dividenden von ihren Tochtergesellschaften, deren steuerrechtlicher Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Union lag. Die Banca Mediolanum nahm von den Dividenden 5 % ihres Betrags in die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer (im Folgenden: IRES) auf. Als Finanzintermediär nahm sie von diesen Dividenden auch 50 % ihres Betrags in die Bemessungsgrundlage der regionalen Steuer auf Produktionstätigkeiten (im Folgenden: IRAP) mit auf, um eine spezielle Finanzintermediäre betreffende Bestimmung des italienischen gesetzesvertretenden Dekrets über die IRAP einzuhalten. Die Banca Mediolanum begehrte die Erstattung des IRAP-Anteils mit der Begründung, die Richtlinie 2011/96/EU lasse über 5 % hinaus keine weitere Belastung zu. Die italienische Finanzverwaltung lehnte ab. Das vorlegende Gericht rief den EuGH an.
Entscheidung
Der EuGH entschied: Eine nationale Regelung, die mehr als 5 % solcher Dividenden besteuert, verstößt gegen Unionsrecht – auch wenn die Mehrbelastung über eine „andere“ Steuer als die Körperschaftsteuer erfolgt.
Die Mutter-Tochter-Richtlinie gebe den Mitgliedstaaten zwar die Wahl zwischen Befreiungs- und Anrechnungssystem. Entscheide sich ein Staat – wie Italien – für das Befreiungssystem, müsse er die an die inländische Mutter ausgeschütteten Gewinne aus anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich von der Besteuerung freistellen. Zulässig bleibe lediglich eine pauschale 5 %-Zurechnung/Nichtabziehbarkeit für (mutmaßliche) Aufwandsteile. Diese unionsrechtliche Freistellung sei steuerartneutral: Sie erfasse jede inländische Abgabe, deren Bemessungsgrundlage die betreffenden Dividenden (auch teilweise) enthalte. Eine zusätzliche Einbeziehung von 50 % der Dividenden in die IRAP-Bemessungsgrundlage überschreite daher die 5 %-Schranke und konterkariere den Richtlinienzweck, wirtschaftliche Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat der Mutter zu verhindern. Entscheidend sei somit die materielle Belastungswirkung, nicht das Etikett der Steuer.
Relevanz für die Praxis
Für den Fall, dass das Befreiungssystem gewählt wurde, ist festzustellen, dass die Richtlinie 2011/96 einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der es einem Mitgliedstaat gestattet ist, mehr als 5 % der Dividenden, die den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Finanzintermediären von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften zufließen, zu besteuern. Dies gilt auch dann, wenn diese Besteuerung durch eine Steuer erfolgt, die keine Körperschaftsteuer ist (wie die IRES, deren Bemessungsgrundlage aber diese Dividenden oder einen Teil davon umfasst, wie es bei der IRAP der Fall ist).
| Bedeutung des Urteils für die Abwehrberatung in EU-Konzernen |
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Zu prüfen ist bei allen Dividendenströmen an Finanzintermediäre/Mutterbanken, ob neben der „5 %-Mitbelastung“ weitere nationale Abgaben (z. B. produktions-, gewinnausgleichende oder sektorale Steuern) die Dividendenbasis nochmals erfassen. |
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Solche Mehrbelastungen sind unter dem Befreiungssystem unionsrechtswidrig – unabhängig von der Steuerart – und eröffnen Rückerstattungs- bzw. Änderungsoptionen sowie laufende Gestaltungsmaßnahmen. In Italien betrifft dies insbesondere die IRAP-Einbeziehung von 50 % der Dividenden. Vergleichbare Modelle in anderen Mitgliedstaaten sind am gleichen Maßstab zu messen. Für die Dokumentation empfiehlt sich eine Belastungsmatrix je Steuerart (KSt/ähnliche Steuern, Regional-/Sektorabgaben) mit Ausweis der effektiven Quote auf Dividendenniveau. Wo Staaten hybride Systeme oder Sonderregeln vorsehen, ist zu belegen, dass die Gesamtbelastung auf Dividenden die 5 %-Grenze nicht überschreitet. Bei bestehenden Bescheiden sind Fristen für Erstattungsanträge/Selbstveranlagung zu sichern und – falls verfügbar – innerstaatliche Rechtsbehelfe auf das EuGH-Urteil zu stützen. |
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EuGH 1.8.25, C-92/24 bis C-94/24 Banca Mediolanum, PM Nr. 98/25

