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Eine Verzögerung beim Sitzungsbetrieb eines Finanzgerichts, die durch den Beginn der Coronapandemie verursacht wurde, führt nicht zur Unangemessenheit der gerichtlichen Verfahrensdauer.

Hintergrund

Ein an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligter hat gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes einen eigenständig einklagbaren Entschädigungsanspruch für immaterielle Nachteile, die ihm dadurch entstehen, dass sein Gerichtsverfahren nicht in angemessener Zeit beendet wird. Bei der Frage der Angemessenheit der Dauer finanzgerichtlicher Verfahren geht der BFH im Regelfall von der Vermutung aus, dass der Finanzrichter bei einem typischen durchschnittlichen Klageverfahren gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage konsequent auf die Erledigung des Verfahrens hinwirken muss. Andernfalls kann ein Verfahrensbeteiligter für jeden einzelnen Verzögerungsmonat eine Entschädigung von 100 EUR beanspruchen. Voraussetzung hierfür ist u. a., dass er die Verzögerung des Verfahrens rechtzeitig gerügt hat.

Sachverhalt

Der Steuerpflichtige hatte im Rahmen seiner gegen Umsatzsteuerbescheide gerichteten Klage zwei Jahre nach Klageeingang eine Verzögerungsrüge wegen der Besorgnis erhoben, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Das Klageverfahren wurde acht Monate später – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Zustellung des Urteils beendet.

Der Steuerpflichtige erhob nunmehr Klage wegen des von ihm als verzögert angesehenen Rechtsstreits. Er trägt vor, sachliche Gründe für die Dauer des frühzeitig entscheidungsreifen Verfahrens von insgesamt 31 Monaten seien nicht gegeben, und fordert eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer i. H. v. mindestens 600 EUR.

Soweit sich das beklagte Finanzgericht auf Einschränkungen des Gerichtsbetriebs infolge der Coronapandemie berufe, hätten die vom Finanzgericht selbst verordneten sitzungsfreien Zeiten und die Umbaumaßnahmen im Gerichtsgebäude weder zu einem Stillstand der Rechtspflege führen dürfen, noch könnten sie im Rahmen des § 198 Gerichtsverfassungsgesetz zu seinem Nachteil gewertet werden.

Entscheidung

Der BFH wies die Klage ab. Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Entschädigungsanspruch zwar verschuldensunabhängig sei, sodass es nicht auf ein pflichtwidriges Verhalten bzw. Verschulden der mit der Sache befassten Richter ankomme. Somit könne die unangemessene Verfahrensdauer auch nicht mit dem Hinweis auf eine chronische Überlastung der Gerichte, länger bestehende Rückstände oder eine angespannte Personalsituation gerechtfertigt werden. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers müssten aber die verfahrensverzögernden Umstände zumindest innerhalb des staatlichen bzw. dem Staat zurechenbaren Einflussbereichs liegen.

Dies hat der BFH im vorliegenden Fall verneint. Die mehrmonatige Verzögerung des Ausgangsverfahrens beruhe auf Einschränkungen des finanzgerichtlichen Sitzungsbetriebs ab März 2020. Diese seien Folge der Coronapandemie und der zu ihrer Eindämmung ergriffenen Schutzmaßnahmen. Es handele sich nicht um ein spezifisch die Justiz betreffendes Problem, da andere öffentliche und private Einrichtungen und Betriebe ebenso betroffen (gewesen) seien.

Die Coronapandemie sei – jedenfalls zu Beginn – als außergewöhnliches und in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispielloses Ereignis anzusehen, die weder in ihrem Eintritt noch in ihren Wirkungen vorhersehbar gewesen wäre. Von einem Organisationsverschulden der Justizbehörden im Hinblick auf die Vorsorge für die Aufrechterhaltung einer stets uneingeschränkten Rechtspflege könne daher ebenfalls nicht ausgegangen werden.

fundstelle
BFH 27.10.21, X K 5/20