In Steuer-Tipps für ALLE

Für die Inanspruchnahme des Sonderausgabenabzugs für eine zusätzliche Altersvorsorge gemäß § 10a EStG hat der Steuerpflichtige ein Wahlrecht. Dieses muss nicht zwingend durch Abgabe der Anlage AV zur Einkommensteuererklärung ausgeübt werden, sondern kann auch formlos geltend gemacht werden. Die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids kommt nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG erstmals nach Eintritt der materiellen Bestandskraft begehrt.

Sachverhalt

Die Steuerpflichtigen hatten für das Streitjahr 2012 zunächst keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Aufgrund dessen schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen. Ein Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgebeiträge und Zulagen gemäß § 10a EStG wurde hierbei nicht berücksichtigt.

Ihre Einkommensteuererklärung reichten die Steuerpflichtigen mit dem Einspruch gegen den Schätzungsbescheid ein. Zu einem Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG erklärten sie sich nicht. Das FA änderte die Steuerfestsetzung erklärungsgemäß und hob den Vorbehalt der Nach­prüfung auf. Der Bescheid wurde bestandskräftig, ebenso ein zu späterer Zeit ergangener weiterer Änderungsbescheid.

Im Jahr 2018 begehrten die Steuerpflichtigen nachträglich einen Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG. Sie führten an, das FA habe die vom Anbieter des Altersvorsorgevertrags übermittelten Beiträge und Zulagen zu Unrecht nicht berücksichtigt. Das FA lehnte eine Änderung ab. Eine Günstigerprüfung für den Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 2 EStG erfordere einen Antrag, der in Form der Anlage AV zur Einkommensteuererklärung hätte gestellt werden müssen.

Entscheidung

Einspruch und Klage blieben erfolglos, ebenso die beim BFH eingelegte Revision.

Ein Antrags- bzw. Wahlrecht, für dessen Geltendmachung das Gesetz – wie im Fall des § 10a EStG – keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung vorsieht, muss der Steuerpflichtige zwar nicht notwendig bereits im Rahmen der Steuererklärung beanspruchen. Allerdings ist ein solches grundsätzlich nur bis zum Eintritt der Bestandskraft des entsprechenden Steuerbescheids erstmals oder in geänderter Weise ausübbar.

Der Steuerpflichtige kann somit frei über das Wahlrecht verfügen, wenn der Bescheid zum einen noch nicht formell bestandskräftig und deshalb ohnehin abänderbar ist, insbesondere dann, wenn über einen Einspruch oder eine Klage gegen den Bescheid noch nicht entschieden ist. Zum anderen ist der Bescheid und damit auch die Ausübung des Wahlrechts änderbar, wenn der Bescheid noch nicht materiell bestandskräftig ist, namentlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Gleiches gilt, wenn ein erstmals oder anderweitig nach Eintritt der materiellen Bestandskraft des Steuerbescheids ausgeübtes Wahlrecht die Voraussetzungen einer bestandskraftdurchbrechenden Änderungsvorschrift erfüllt.

Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor, denn die Steuerpflichtigen hatten erst nach Eintritt der materiellen Bestandskraft einen Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG beansprucht. Eine die Bestandskraft durchbrechende Korrekturnorm stand ihnen für die Durchsetzung eines solchen Anspruchs nicht zur Seite.

Der BFH verwarf auch die Auffassung der Steuerpflichtigen, sie hätten bereits mit der Einwilligung in die Datenübermittlung an die Finanzverwaltung nach § 10a Abs. 2a Satz 1, Abs. 5 Satz 1 EStG a. F. ihr Wahlrecht auf Inanspruchnahme des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10a EStG wirksam ausgeübt.

Die für das Streitjahr 2012 in zeitlicher Hinsicht noch anwendbare Vorschrift des § 10 Abs. 2a Satz 8 Nr. 1 EStG a. F. (vgl. Art. 97 § 27 Abs. 2 EGAO) ist eine spezialgesetzliche Korrekturnorm i. S. v. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO. Hiernach ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit – von einem Dritten übermittelte – Daten gemäß § 10 Abs. 2a Sätze 4, 6 oder 7 EStG a. F. vorliegen und sich hierdurch eine Änderung der festgesetzten Steuer ergibt. Die Vorschrift gilt sowohl für den Fall der erstmaligen Übermittlung von Daten (§ 10a Abs. 2a Satz 4 EStG a. F.) als auch für korrigierte bzw. stornierte Datensätze (Satz 6 der Vorschrift). Der Wortlaut des § 10 Abs. 2a Satz 8 Nr. 1 EStG a. F. fordert durch das Adverb „hierdurch“ allerdings einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den vorliegenden Daten und der sich durch deren nachträgliche Berücksichtigung ergebenden Änderung der festgesetzten Steuer. Steht dagegen der Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG im Wahlrecht des Steuerpflichtigen, hängt die Änderung der bisher festgesetzten Steuer nicht nur vom Vorliegen relevanter Daten, sondern zusätzlich von einer Ausübung dieses Wahlrechts ab.

Praxistipp

Der BFH machte zudem deutlich, dass die Ausübung des Wahlrechts keiner besonderen Form bedarf (so aber die Finanzverwaltung, BMF BStBl I 18, 93, Rz. 101). Es kann ausdrücklich oder auch konkludent geltend gemacht werden.

fundstelle
BFH 19.1.22, X R 32/20